Oatman

Die Uhren scheinen in dem abgelegenen Städtchen Oatman stehengeblieben zu sein. Wenn nicht so viele Besucher die Ortschaft in den zerklüfteten Bergen im Westen Arizonas fluten würden, könnte man man meinen, hier aus der Zeit gefallen zu sein. Der Ort ist bekannt für die wilden Esel, die durch die Main Street streifen und das Leben der paar Handvoll Einwohner, ihrer Besucher und der Durchreisenden bestimmen. Um es zu glauben, muss man es mit eigenen Augen gesehen haben.

Mit der staubigen Hauptstraße, gesäumt von hölzernen Gehwegen, über die man die ursprünglichen Häuser betritt, bewahrt Oatman bis heute ein authentisches Wildwest-Feeling. Das erste Haus am Platze und zugleich das älteste ist das 1902 errichtete Oatman Hotel. Dank seiner Adobe-Bauweise überstand es als eines der wenigen Bauwerke ein großes Feuer im Jahr 1921. Die Herberge, in der Clark Gable und Carole Lombard ihre Flitterwochen verbracht haben sollen, könnte so manche Geschichte erzählen aus der bewegten Zeit des Ortes, auf die die Einheimischen zu Recht stolz sind. Da verzeiht man auch den neumodischen Kitsch, der in den unzähligen Souvenirläden seine Abnehmer findet. Dort gibt es auch Leckerlis für die Esel, die schon so an die Leckereien gewöhnt sind, dass sie sie mitunter regelrecht einfordern.

Die Esel sind die Nachfahren von Nutztieren, mit denen die einstigen Bergleute Lasten transportierten. Sie wurden zurückgelassen und konnten sich dank offenbar günstiger Lebensbedingungen gut vermehren. So mancher scherzt, in Oatman gebe es heute mehr Esel als Einwohner. Da könnte durchaus etwas dran sein. Denn die vierbeinigen Gesellen sind allgegenwärtig. Die Protagonisten von Oatman haben traditionell Vorrang vor dem Verkehr. Sogar Verkehrsschilder mit einem Eselsymbol machen auf diese besonderen Verkehrsteilnehmer aufmerksam. Und Esel wären nun einmal keine Esel, wenn sie nicht ihren eigenen Kopf hätten und manchmal den Anschein erwecken, als würden sie sich einen Spaß daraus machen, die staubige Main Street extra zu blockieren.

Irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts besiedelt, nahm die Stadt mit einem Goldfund im Jahr 1915 einen beispielhaften Aufstieg. Die Einwohnerzahl schnellte innerhalb eines Jahres auf mehr als 3.500 und konnte sich dank des enormen Goldvorkommens zunächst halten, bis die Vorkommen erschöpft waren und die letzte Förderung im Jahr 1941 eingestellt wurde. Zum Glück für Oatman bescherte der wachsende Verkehr auf der historischen Route 66, die noch heute durch den Ort führt, einen stetigen Fluss an Durchreisenden. Als einzige Ansiedlung zwischen Kingman und Needles versorgte man sich hier und bescherten den Einheimischen gute Geschäfte.

Die guten Zeiten waren jedoch von vergleichsweise kurzer Dauer, da Oatman mit der Eröffnung einer Abkürzung zwischen den beiden Städten seine Bedeutung über Nacht verlor; die meisten Einwohner verließen die Stadt. Ab 1960 glich der Ort fast einer Geisterstadt. Nicht viel fehlte, und ihm wäre das gleiche Schicksal zuteil geworden wie vielen anderen Bergbaustädten in Arizona, die bald nach dem Wegzug des letzten Bergmanns in Vergessenheit gerieten.

Mit der Renaissance der Route 66 und einem zunehmenden Geschichtsbewusstsein eroberte jedoch Oatman dank seinem ursprünglichen Flair, das die Zeiten unbeschadet überdauerte, und seiner vierbeinigen Bewohner die Herzen von Besuchern aus aller Welt.

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